«косити косарку» ist ukrainisch und bedeutet «Mäher mähen». Das Video entstand im ersten Covid-Lockdown im März 2020. Seither ist viel passiert. Im Februar 2022 bricht in der Ukraine Krieg aus und mein Projekt erhält eine neue Dimension.
Das Lied zeugt von einer Schwere und Melancholie, von Erdulden und Ertragen. Ich kann nicht nachfühlen, was es bedeutet vor dem Krieg zu flüchten. Die Emotionen und Erlebnisse stehen in einem Gegensatz zu mir und meiner Situation. Aber ich versuche zu verstehen.
Das Singen von Volksliedern ist mit einem Gemeinschaftsgefühl und mit Nationenbildung verbunden. Themen, welche die Ukraine prägen und beschäftigen. Das Lied wurde immer in einer Gemeinschaft gesungen. Ich bilde im Video einen Chor mit mir selbst. Ich singe die ersten drei Stimmen nach Noten. Danach improvisiere ich.
Ich lasse Welten und Zeiten aufeinanderprallen. Altes Lied. Alter Inhalt. Neuer Kontext.
Ausstellung und Installation 2022 bei https://www.videokunst.ch/artists/lena-sigrist
Text zum Video:
Die Mäher mähen, der Wind weht. Das Seidengras wird geschnitten von der Sense.
Grillen zirpen und die Sonne brennt auf die trockene Erde nieder. Im Flirren der Hitze ist der
Horizont nur verschwommen zu erkennen. Es ist es still, niemand weiss wie nah ich bin.
Zwischen 2014 und 2021 töteten in der Ukraine laut dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel»
Minen über 700 Menschen. Doppelt so viele wurden verstümmelt und verletzt. In den
vergangenen Wochen haben russische Streitkräfte auf landwirtschaftlich genutzten Feldern
neue Minen vergraben. Bei einer Explosion schleudern Metallsplitter über 16 Meter weit.
Minen unterscheiden nicht zwischen Freund*in und Feind*in. Minen unterscheiden nicht
zwischen Krieg und Frieden.
Das Lied stammt aus einer Sammlung von Arbeiter*innenliedern aus der Ukraine. Es wurde
mündlich überliefert und erst später in Notenschrift notiert. Frauen sangen es bei der Arbeit
auf dem Feld. Im Takt zum Geräusch der schneidenden Sense.
Schnitt. Schnitt. Schnitt.
Schnitt.
Der Tod ist hier. Ich bin eine Frau. Ich bin das Leben. Ich bin der Ursprung. Ich bin stark. Ich bin
schwach. Ich bin der Tod. «Ich als Frau gebe mehr als ich nehme, im Allgemeinen, wenn
nicht besonders angegeben: das Leben. Ich gleiche aus, was andere im Überfluss haben:
die Natur. Ich gewinne Land, indem ich Leben nehme.»1 Ich bin der Tod.
Die Organisation «Welt ohne Minen» schätzt, dass weltweit 60 bis 100 Millionen Minen
vergraben sind. Gestern, heute und morgen arbeiten Frauen in der Ukraine auf Feldern als
Minensucherinnen. Grillen zirpen und die Sonne brennt auf die trockene Erde nieder. Im
Flirren der Hitze ist der Horizont nur verschwommen zu erkennen. Das Piepsen der
Minensuchmaschine begleitet die Frauen. Die Sucherinnen sind konzentriert. Sie singen
nicht. Da ist nur der Piepston der Maschine und die Grillen.
Die Mäher mähen, der Wind weht. Das Seidengras wird geschnitten von der Sense.
Die Mäher mähen, der Wind weht. Der Lebensfaden wird geschnitten von der Sense.
Ich bin die Schicksalsgöttin. Ich bin der Tod. Scharfe Klinge, richtige Technik und mein Wille.
Zerstörung und Ernte. Ich ernte Leben. Ich bin der Tod. Der Krieg ist die Erntezeit.
Die Menschen rennen vor mir davon, sind auf der Suche nach einem besseren Ort. Warten
und hoffen und warten. Allein, Isoliert, verloren. Warten und hoffen und warten. Warten an
Grenzen, die nur in Köpfen existieren. Warten auf Genehmigungen, die nur Papier mit einem
Stempel sind. Warten auf Nachrichten, die nichts Neues berichten. Nur die eigenen
Gedanken geben Halt. Nur die innere Stimme bleibt. Sogar die Grillen verstummen.
Am Schluss wird nur noch die Sense zu hören sein.
1: Jelinek, Elfriede; Ein Sportstück.


